Jo Spindlers Blog: Superbikes!

Vorbemerkung: Der Artikel ist etwas lang geworden und auch recht technisch. Wer nur wissen will, was das P5 kann, liest das erste Drittel. Wen technische Feinheiten und wichtige Hinweise zum Aufbau interessieren, der sollte auch das zweite Drittel lesen. Wer wissen will, für wen das P5 eher nichts ist, der liest das letzte Drittel. Viel Spaß!

Cervelo hatte dieses Jahr 488 Räder auf Hawaii (von circa 2100 Startern insgesamt). Damit führt Cervelo weiterhin mit großem Abstand den „Kona Bike Count“ an und hat allein so viele Räder am Start, wie die zweit-, drittstärksten Marken zusammen!

Unter diesen 488 Cervelos waren wiederum 119 P5s. Damit ist das P5 das mit Abstand am meisten vertretene Modell bei der WM auf Hawaii. Auch die Platzierungen können sich sehen lassen: Hawaii-Sieg bei den Männern, Hawaii-Vize-Titel bei den Frauen. Insgesamt 5 Cervelos unter den 10 Rädern der 5 besten Männer (van Lierde, Cunnama) und Frauen (Joyce, Blatchford, Steffen).

Kein anderes Rad war jemals so erfolgreich. Alles nur Marketing oder ist das P5 wirklich so gut?

Es gibt inzwischen zahlreiche Zeitfahrmaschinen auf dem Triathlonmarkt, die auf einem ähnlich hohen Level sind. Zu diesen „Superbikes“ zähle ich vor allem: Cervelo P5, Trek Speed Concept, Scott Plasma, Specialized Shiv, Canyon Speedmax. (Dann gibt es einige kleinere Marken, die wahrscheinlich auch gut sind; und relativ viele Räder, die zwar ähnlich schnell wie die Superbikes AUSSEHEN, aber trotzdem deutlich langsamer sind.)

Inzwischen hatte ich alle Superbikes zum Fitting da, habe sie um- oder aufgebaut und kenne sie deshalb ziemlich genau. Sie haben viele Gemeinsamkeiten, sowohl auf der positiven Seite (Auerodynamik, Fahrverhalten, Systemintegration), als auch auf der negativen Seite (eingeschränkter Einstellbereich, komplizierter Aufbau, schwer zu verpacken).

Caroline Steffens P5

Am besten freilich kenne ich das P5, auf dem ich seit einem Monat trainiere und das im Vergleich zu den Vorgängermodellen P3 und P4 doch einen überraschend großen Fortschritt darstellt:

Da wäre zum einen die Rahmengeometrie. Das P5 ist nicht mehr so lang und flach, wie es P3 und P4 waren (das P3 bis zum Modelljahr 2012 war und ist eines der längsten und flachsten Räder auf dem Markt – perfekt für Athleten, die eine sehr große Überhöhung fahren wollen, einen sehr langen Oberkörper haben oder sehr gestreckt sitzen wollen).
Das P5 hingegen ist kürzer und baut auch höher. Das wirkt sich positiv auf Komfort und Fahrverhalten aus und kommt der Sitzposition einer größeren Zahl von Athleten besser entgegen. (Im Vergleich: Specialized baut kürzer, Canyon länger, Scott und Trek ähnlich).

Das P5 kommt mit einer (eingeschränkt nach unten verstellbaren) Lenker-/Vorbaueinheit (3T Aduro) wodurch sich eine wichtige Besonderheit ergibt: Wer mit dem P5 eine extreme Überhöhung fahren will, muss auf die kleinere Rahmengröße ausweichen. Optinal kann man auch die normale Rahmengröße behalten, muss dann aber einen anderen Lenker mit steilem Vorbau (-35°) montieren. Letzteres habe ich beispielsweise beim neuen Rad von Caroline Steffen gemacht. Rahmengröße 56cm mit 3T Brezza passt für sie besser, als Rahmengröße 54cm mit integriertem Aduro Lenker – obwohl die Kontaktpunkte (Armauflagen, Sattelposition, Pedale) fast identisch sind. Der größere Rahmen fährt sich ruhiger, Caroline kommt damit deutlich besser zurecht.

Ein großes Plus außerdem: Cervelo ist einer der wenigen Anbieter, die noch ein 26-Zoll Zeitfahrrad bauen. Aufgrund der geschilderten Überhöhungs-Problematik (und weil 26-Zoll-Laufräder ca. 8% schneller als 28-Zoll-Laufräder sind), ist das eine Option, die für alle Athleten bis Körpergröße 170cm dringend zu überlegen ist.

Überhaupt der Aduro-Lenker: Lenker-/Vorbaueinheiten bieten immer den Nachteil einer sehr eingeschränkten Verstellbarkeit. Nicht so der Aduro Aerobar von 3T (abgesehen von extremen Überhöhungen, siehe oben): Er kommt mit 3 verschiedenen Aufsätzen und man kann ihn sowohl in Höhe als auch Länge so gut einstellen, wie keinen anderen integrierten Lenker auf dem Markt. Die großflächigen Armauflagen decken in Kombination mit den unterschiedlichen Aufbauten eine enorme Bandbreite von möglichen Positionen ab. Die Extensions selbst haben einen angenehm weiten horizontalen Verstellbereich von ca. 5cm.

Ein Nachteil ist freilich, dass Cervelo das Rad nur mit Ski-Bend-Extensions ausliefert. Hier sollte man je nach Präferenz andere Extensions montieren: Gerade, wie beim P5 von Caroline Steffen, S-Bends, wie bei Diana Riseler oder James Cunamma, oder Lazy-S-Bends, wie bei meinem Rad.

Bike Fitting mit Caroline Steffen

Normalerweise passt man die Lenkerposition durch unterschiedlich lange Vorbauten an. Beim P5 mit Aduro-Lenker bleibt der Basislenker immer in der gleichen Position. Die Anpassung erfolgt lediglich über die Armpads und Aufsätze. Hierdurch bleibt das Fahrverhalten des Rades stets optimal ausgewogen, während sonst ein überdurchschnittlich langer oder kurzer Vorbau das Verhalten des Rades nachteilig verändert. Wie gut die Kombination Aduro Lenker/P5 Geometrie funktioniert, offenbart sich vor allem beim Abfahren. Ich hatte noch nie ein Rad, dass sich so gut, schnell und sicher bergab fahren ließ. Das P5 kann auch auf extrem steilen und kurvigen Abfahrten locker mit jedem Rennrad mithalten. Es läuft wie auf Schienen, lenkt fast von allein. Zeitfahrmaschinen haben normalerweise beim Abfahren das Problem, dass aufgrund eines tief montierten Basislenkers viel Gewicht auf dem Vorderrad lastet und das Rad sich deswegen nicht gut bergab fahren und auch nicht gut bremsen lässt.
Nicht so beim P5. Es fährt sich phänomenal gut bergab.

Einen nicht geringen Teil zu diesem Fahrverhalten bergab tragen auch Maguras hydraulische (Felgen-)Bremsen bei. Sie lassen sich fein dosieren. Wenn es darauf ankommt, verfügen sie aber über eine schlicht brutale Bremskraft, gerade auch unter nassen Bedingungen.

Viele Athletinnen bei uns im Team sind mit ihren P3s mittelmäßig bergab gefahren (und mit ihren P4s schneckenlangsam). Mit dem P5 fahren sie plötzlich richtig schnell bergab und zwar ohne jegliche Eingewöhnungsphase. Und das liegt nicht daran, dass sie etwa ihre Technik verbessert hätten, sondern einzig am Rad und den Bremsen. Setzte ich sie zurück auf ihr altes Rad, fahren sie genau so langsam und vorsichtig ab wie früher.

Der Rahmen erfüllt eine weitere Bedingung, ohne die ein gutes Zeitfahrrad nicht möglich ist: Er ist enorm steif (ohne deswegen bockig oder unkomfortabel zu sein). Das verbreiterte, überdimensionierte Tretlager (BBRight mit 30mm Achse und direkt in den Rahmen gepressten Lagern) garantiert unmittelbaren Vortrieb (Trek baut das Speed Concept auch so). Diesbezüglich ist der Unterschied zwischen P3 und P5 wie zwischen Porsche und Peugeot (und das P3 war ein wirklich gutes Rad).

Diana Rieslers P3 und Jo Spindlers P5

Aufgrund des flächigen Rahmendesigns hätte ich vermutet, dass das P5 Seitenwind recht viel Angriffsfläche bietet. Tatsächlich fährt es sich aber bei windigen Bedingungen überraschend gut und sogar besser als das viel weniger flächige P3 oder P4. Es scheint also tatsächlich auf seitliche Anströmwinkel optimiert zu sein.

Das sind in meine Augen die Besonderheiten, die das P5 zum Superbike unter den Superbikes machen.

Bezüglich der anderen Details sind alle auf einem ähnlichen (hohen) Niveau: Vollverkleidete, in den Rahmen integrierte Bremsen sind in dieser Liga Standard inzwischen (wobei das bei den Marken unterschiedlich gut gelöst ist und man schon darüber diskutieren kann, ob Cervelo die optisch beste Lösung gefunden hat). Wie sich die Superbikes aerodynamisch unterscheiden, ist ohne Windtunnel oder aufwändigem Aerotest auf der Bahn schwer zu ermitteln. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Unterschiede zwischen diesen Bikes nur marginal sein würden.

So weit so gut. Für den Mechaniker hingegen ist das Rad ein Albtraum. Für die erste Montage eines P5s habe ich 2 (!) volle Tage gebraucht (für die Montage des ersten P3s dagegen „nur“ knapp 4 Stunden). Nachdem ich jetzt 5 P5s aufgebaut und zahlreiche umgebaut habe, bekomme ich es deutlich schneller hin, aber es ist immernoch extrem aufwändig zu montieren.

Hinzu kommt, dass von den P5s, die ich bisher zum Fitting da hatte, kein einziges „fehlerfrei“ aufgebaut war (!). Das fängt mit Kleinigkeiten an (wie z.B. dass das Rad ohne Staubkappe aufgebaut werden kann) und geht bis zu gefährlichen Sachen, die dazu führen, dass die Bremsleitung abreißt (Einsatz/Zugführung am Oberrohr NIEMALS zusammen mit dem Aduro-Lenker montieren!). Auch die richtige Schraubenlänge ist zu beachten, weil sonst die Gewindeeinsätze aus dem Lenker gezogen werden (Schrauben zu lang) oder der Lenkeraufsatz kollabieren kann (Schrauben zu kurz). Auch beim Lager sollte man sich vor dem Einpressvorgang erkundigen, wie man es einpressen muss (je nach Typ mit Fett, nur mit Loctite oder mit Loctite und Loctite Grundierung).

Zudem rate ich allen, das P5 mit einer elektronischen Schaltung auszustatten. Das macht die Montage (und dann auch das Verpacken des Rades, wenn es mal verreisen muss) bedeutend einfacher. Mit mechanischer Schaltung ist der Aufbau auch machbar und es schaltet auch gut. Aber mit elektronischer Schaltung ist das Rad deutlich einfacher aufzubauen und auch leichter zu verstellen. (Das gilt übrigens für alle Superbikes!) Der Mechaniker wird es Euch danken!

Auch bei der Sitzpositionseinstellung ist es ein kompliziertes Rad. Wenn möglich, sollte man wie folgt vorgehen (gilt ebenfalls für alle Superbikes!): Rad soweit aufbauen, dass man die Positionseinstellung vornehmen kann (keine Bremsen und Züge montieren, Kurbel schon, elektronische Schaltung geht auch). Dann macht man die Vermessung, dann zerlegt man das Rad nochmal, kürzt Gabel und Sattelstütze und baut es fertig auf. Hält man sich nicht an dieses Vorgehen, muss man im schlimmsten Fall das komplett aufgebaute Rad nochmal zerlegen

Joseph Spindlers P5

Und auch beim Verpacken ist das P5 deutlich komlizierter als ein „normales“ Rad. Kurz gefasst muss man den Lenkeraufsatz abschrauben, die Vorderbremse AN DER GABEL demontieren, die Lenkereinheit vom Gabelschaft ziehen, das Schaltwerk demontieren (dringend empfohlen, da das P5 ein fest in den Rahmen integriertes, nicht austauschbares Schaltauge hat), die Sattelstütze aus dem Rahmen nehmen. Beim Verpacken ist dann besondere Sorgfalt nötig, um die Bremsleitung der Vorderradbremse nicht abzuknicken (ich verwende als Schutz einen eingekerbten Styroporblock).

Wer also vollkommen technik-avers ist, für den ist das P5 sicher nicht das richtige Rad – es sei denn, er nimmt den Mechaniker seines Vertrauens zu seinen Rennen mit. Dann wir auch alles gut. ;-)

Alle Superbikes sind hervorragende Räder! Sie machen technisch und optisch richtig was her. Aber man kann auch mit anderen Rädern schnell fahren: Am Ende macht immer der Motor die Musik!

In diesem Sinne: Gutes Training und Kette rechts!

See you at the races
Jo

Homepage und Kontakt: www.jospindler.com