Jo Spindlers Blog: Project Dove!
Anfang November haben Alex Bok, Manager von teamTBB, und Brett Sutton, Headcoach und Sportlicher Leiter teamTBB, entschieden, getrennte Wege zu gehen.
Brett war in gewisser Weise das Zentrum des Teams. Als die starke, manchmal polarisierende Persönlichkeit, die er ist. Als der Stratege und Menschenkenner, der immer zwei und drei Schritte voraus denkt. Nur er hat die Fähigkeit, aus völlig unbekannten Athleten innerhalb kürzester Zeit Top-Stars zu machen. Oder wer kannte Chrissie Wellington, bevor sie zu TBB kam? Wer kannte Caroline Steffen bevor sie Brett zu TBB geholt hatte? James Cunamma: 2009 ein unbekannter Altersklassenathlet, 2012 Sieger in Roth.
Daher ist Bretts Weggang von TBB ein tiefer Einschnitt für das Team und fordert eine personelle Neuaufstellung und eine strategische Neuausrichtung des Teams. TBB ist eine Erfolgsgeschichte, die Alex Bok weiterführen will. Er vertraut darauf, dass er und Brett in 7 Jahren leidenschaftlichstem Einsatz etwas geschaffen haben, das mehr ist als Bretts Coaching oder Alex’ Management. Darum wird es 2014 weiter gehen. Auch ohne Brett und viele Top-Athleten.
Aber warum verlässt Brett ausgerechnet jetzt das Team? Warum riskiert er alles, was er in 7 Jahren aufgebaut hat? Warum lässt er seine Athleten im Stich? Lässt er sie im Stich? Warum und für was?
Ein Visionär, der seine Vision nicht umsetzt, hat noch keine Revolution gemacht. Und jemand, der konsequent handelt, aber keine Vision hat, auch nicht. Brett vereint diese beiden Eigenschaften in sich.
Er ist seinem ganzen Denken nach Visionär. Er sieht Entwicklungen, Potenziale, Grenzen und Möglichkeiten lange vor allen anderen. Und zum anderen handelt er so konsequent, wie ich das bei kaum einem anderen Menschen bisher erlebt habe. Diese Direktheit, Ehrlichkeit, Kompromisslosigkeit hat schon viele (Athleten) verletzt. Wahrheit schmerzt immer am meisten.
Brett setzt sich mit seiner ganzen Leidenschaft für seine Athleten und für den Triathlonsport ein. Es ist sein Leben. Aber er ist der Überzeugung, dass sich Triathlon gerade in den letzten Jahren zu sehr von seinen Ursprüngen entfernt hat. Dass unser Sport zu stark kommerzialisiert wurde. Dass es vielen Rennveranstaltern nicht mehr um den Sport geht, sondern nur um ihren Profit. Dass es den Athleten nicht mehr um den Spaß und ihre Gesundheit, sondern um die Quali für Hawaii geht. Dass Triathlon dabei ist, das grandiose Potenzial, das in ihm angelegt ist – als Breitensport, als eine der gesündesten Sportarten überhaupt – zu verlieren und eine Beschäftigung für eine wie auch immer elitäre Randgruppe zu werden.
Zugleich sieht er keine Chance, dass sich der Sport aus sich heraus erneuern wird. Die Profi-Athleten jammern viel, sind aber trotzdem nicht dazu fähig, alle an einem Strang zu ziehen, um ihre Situation zu verbessern. Und die Altersklassenathleten haben keinen Hebel, den sie ansetzen könnten, um Änderungen herbeizuführen.
Nach Bretts Ansicht ist selbst sein eigenes Team zu sehr Establishment geworden. Zu sehr Teil der Maschinerie. Zu stark von kurzfristigen Interessen geleitet. Zu sehr Mainstream. Und zu wenig Vision, zu wenig Bereitschaft, etwas zu ändern, einen Unterschied zu machen.
Also zog er die Konsequenz und hat das Team verlassen. Nicht für sich. Nicht für eine Revolution. Aber um dem Sport eine Alternative zu geben. Im Vertrauen darauf, dass auch andere Menschen das Licht am Ende des Tunnels sehen und ihm helfen, seine Mission zu verwirklichen, den Sport den Athleten zurück zu geben.
Wie schaut diese Vision aus?
Im Grunde geht es darum, dass Brett über einen Club-Beitrag (100 US$ im Jahr) eine eigene Rennserie finanzieren will, die nicht profitorientiert ist. Der Gesamtumsatz dieser Rennen soll dann wie folgt aufgeteilt werden:
- 30% bekommt der Veranstalter zur Deckung aller Kosten für die Organisation und Durchführung des Rennens.
- 30% wir an die Altersklassen-Athleten verteilt, nicht unbedingt als Preisgeld, sondern in Form einer Lotterie, sodass jeder unabhängig von seiner Leistsungsfähigkeit eine Chance hat, etwas zu gewinnen
- 30% werden unter den Profis als Preisgeld ausgeschüttet
- 10% gehen an ein soziales Projekt
Der andere Aspekt ist, dass Brett auch ein deutliches Statement gegen Drogen- und Dopingmissbrauch, gegen jegliche Form von Gewalt und Verwahrlosung sowie gegen eine in vielen Ländern überhand nehmende Entwicklung zu Übergewicht und ungesunder Lebensweise abgeben will – weil er im Triathlonsport das wirksamste Heilmittel gegen solche Entwicklungen sieht. Darum nennt er sein Projekt DOVE:
We say no to
Drugs
Obesity
Violence
through
Education
Das ist, in aller Kürze, der Kern der Vision Bretts. Er selbst hat sein Projekt besser und detaillierter dargestellt als ich das kann. Die wichtigsten Links zu seinen Beiträgen habe ich unten angehängt. Sie sind leider nur in Englisch verfügbar. Aber gerade Bretts Interviews in Leysin (erscheinen nach und nach), sind eine der schärfsten Analysen zur Situation des Triathlonsports überhaupt und jede Minute eurer Zeit wert!
Viele waren von Bretts Idee sofort begeistert und bereit, ihn zu unterstützen. Aber viele waren
(und sind) bezüglich der Umsetzbarkeit sehr kritisch. Interessant ist, dass selbst von diesen Kritikern viele bereit waren, Brett mit 100 US$ zu unterstützen, einfach weil sie sich eine Veränderung wünschen, auch wenn sie es eigentlich nicht für möglich halten.
Yours in sports!
Jo
Weiterführende Links:
Brett Sutton Interview Lesin, Teil 1
We start the journey
We have hit 100
What’s the plan?
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Jo Spindler ist Triathlon-Profi und seit 2011 Headcoach des teamTBB Germany. Er konnte in seiner Karriere 5 Langdistanzrennen gewinnen. Als Coach wurde Jo von der Trainerlegende Brett Sutton ausgebildet. Jo trainiert Athleten aller Leistungsklassen. Homepage und Kontakt: www.jospindler.com