Jo Spindlers Blog: Dopers suck – Der zynische Standpunkt

Seit meinem letzten Blog zum Thema Doping im Triathlon hat sich einiges getan: Es gibt eine Facbook-Initiative (Keine Doper in unseren Reihen), es gibt Stellungnahmen von anderen Profi-Sportlern (u.a. Frank Vytrisal, Caroline Steffen, Belinda Granger, Helle Frederiksen), das traithlon magazin und die FAZ haben das Thema aufgegriffen. Und natürlich gibt es auch einen neuen Dopingfall: Virginia Barasategui wurde positiv getestet.

Der Tenor ist eine moralische Empörung – die sich leider oft gezielt an bestimmten Personen entlädt. Gerade deshalb sollten wir alle darauf achten, dass es in dieser Diskussion nicht darum geht, einzelne Personen zu mobben und fertig zu machen, sondern darum, mit einer sachlichen Diskussion etwas am Doping im Sport zu ändern: Ein Haberfeldtreiben gegen bestimmte Personen ändert nichts an den grundlegenden Strukturen unseres Anti-Doping Systems, das Doping eher fördert (fordert!) als verhindert.

Nehmen wir den HYPOTHETISCHEN Fall eines Jungprofis im Triathlon. Seit mehreren Jahren macht er Triathlon. In seinen ersten Profiwettkämpfen hat er einige gute Rennen abgeliefert. Für einen internationalen Durchbruch hat es aber noch nicht gereicht. Er ist ein Ehrgeizling, ordnet alles seinem Sport unter und will der Beste werden, ohne Kompromisse.

Dieser Jungprofi, nur am Erfolg interessiert, überlegt sich nun, ob er seiner Leistung mit Doping auf die Sprünge helfen soll.

Diese Überlegung will ich mir hier genauer anschauen. Und, das gleich vorweg, das Ergebnis finde ich ernüchternd, schockierend und nicht akzeptabel!

Unser Jungprofi also ist schon relativ gut austrainiert. Nach aktueller Studienlage hält er es für wahrscheinlich, dass ihm ein systematisches (aber noch bezahlbares) Dopingprogramm 5-10% Leistungssteigerung bringt. Mit einem solchen Sprung könnte er gut dotierte internationale Rennen gewinnen. Und prestigeträchtige Siege bringen Sponsorenverträge. Das Investment von sagen wir mal 15.000 € für Dopingmittel könnte sich damit schon im ersten Jahr rechnen. Durch Rennprämien und Sponsorenverträge könnte er im ersten Jahr ein Vielfaches davon einnehmen.

Zudem ist nach seinen Recherchen mehr als eindeutig, dass selbst überführte Doper (!) finanziell vom Doping profitiert haben. Armstrong hat mit seinen Leistungen Millionen verdient. Zwar wurden ihm seine Titel aberkannt. Aber selbst wenn er einige Millionen zurück zahlen muss, ja selbst wenn er im schlimmsten Fall alle anhängigen Gerichtsverfahren verliert, bleiben ihm noch mehr als genug Millionen über. Nicht anders bei anderen Fällen wie Ullrich, Contador, Kohl, Schumacher etc. Klar hätten sie noch wesentlich mehr Kohle gemacht, wären sie nicht erwischt worden oder hätten Doping nicht zugegeben. Aber die Kosten-Nutzen-Rechnung ist mehr als eindeutig.

Ganz zu schweigen natürlich von all den gedopten Sportlern, die ihre Karriere bereits beendet haben und nie erwischt wurden. Sie haben durch Doping ihre Verträge und damit ihr Einkommen halten und gegen andere Sportler verteidigen können. Sie hatten Glück, wurden nie erwischt und können sich jetzt auf einem mehr oder weniger dicken finanziellen Polster ausruhen. Kosten-Nutzen-Rechnung noch eindeutiger.

Mögliche gesundheitliche Aspekte interessieren ihn nicht. Er will Erfolg. Und er will den Preis für den Erfolg zahlen. Wenn die Rechnung erst später fällig wird, umso besser. Und wenn die Rechnung nie fällig wird, was ja auch sein kann, noch besser.

Ethisch-moralische Aspekte interessieren unseren Jungprofi noch weniger. Beim Sport geht es ums Gewinnen. Um Erfolg. Um Geld. Für Fairness gibt es keinen Preis. In seinen Augen sind die Fairen die Schwachen. Nicht stark genug, nicht konsequent genug, den Erfolg bedingungslos und mit allen Mitteln anzustreben. In seinen Augen haben solche Leute Erfolg gar nicht verdient und im Leistungssport eigentlich nichts zu suchen.
Das einzige „moralische“ Argument, das ihm einleuchtet ist, dass er, wenn er sich zum Doping entscheidet, gegenüber anderen dopenden Sportlern die Chancengleichheit wahrt.

Bis jetzt fällt seine Abwägung ziemlich eindeutig aus: Es wäre sowohl aus finanziellen, leistungsmäßigen und moralischen Gründen ziemlich dumm, NICHT zu dopen!

Was könnte ihn trotzdem davon abhalten? Letztlich nur zwei Dinge: A) Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden und B) die Sanktionen, die auf einen positiven Dopingtest folgen.

Also schaut er sich die Wahrscheinlichkeit an, erwischt zu werden. Zunächst einmal sind da die jüngsten Beispiele von Sportlern, die zugegeben haben, über Jahre gedopt zu haben, gleichzeitig aber nie einen positiven Dopingtest hatten. Um nur die prominentesten Beispiele wie Armstrong, Ullrich, Landis, Hamilton etc. zu nennen. Hunderten von Dopingtests steht kaum ein positiver Test gegenüber – obwohl ja nachweislich und praktisch ununterbrochen gedopt wurde. Über Jahre hinweg! Alle diese überführten Sportler haben sich immer darauf berufen, „nie einen positiven Dopingtest gehabt zu haben“ – und also sauber zu sein. Obwohl sie es nie waren. Hunderte, tausende Tests bei der Tour, kaum einer positiv. Das Verhältnis von positiven zu negativen Tests muss im Promille-Bereich liegen! Die Veranstalter wollen saubere Rennen und da wird auch gern mal was unter den Teppich gekehrt.

Dann das Kontrollsystem. Je nach Test-Pool, je nach Land manchmal gar keine Meldepflicht, meistens keine unangemeldeten Trainingskontrollen. Und selbst bei meldepflichtigen (deutschen) Athleten im Nationalen Testpool (NTP) nur zwischen 2 und 5 unangemeldete Trainingskontrollen im Jahr.

Für einen, zu dessen Verständnis von Leistungssport der professionelle Umgang mit Doping gehört, ist das wahrlich nicht abschreckend. Rein statistisch kann er, wenn das Verhältnis von positiven zu negativen Dopingtests nur im Promillebereich liegt, über Jahre dopen, ohne entdeckt zu werden.

Zudem ist es für unseren Jungprofi völlig klar, dass zu seinem Job als Profi nicht nur Training, Ernährung und Wettkämpfe, sondern selbstverständlich auch das Täuschen und An-der-Nase-Herumführen von Dopingkontrolleuren gehört. Nichts falsch daran. Das ist halt ein Bestandteil seines Jobs, wie für andere der tägliche Weg ins Büro. Auch das sieht er sportlich: Eine Art Schnitzeljagd.

Zwischenstand der Abwägung: Die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden ist ziemlich gering!

Nun schaut er sich die Sanktionen an für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass er doch positiv getestet würde:

Sportliche Konsequenzen: Zwei Jahre Sperre im Ernstfall. Maximal. Mit guter Aussicht, dass ein Teil der Sperre bei entsprechender Bereitwilligkeit zur Kooperation erlassen würde. Also eher doch nur 18 Monate. Also eineinhalb Jahre. Eigentlich nur eine kurze Pause, die auch durch eine Verletzung verursacht werden könnte. Nur mit dem angenehmen Unterschied, dass er ja uneingeschränkt trainieren könnte während dieser Pause, sich perfekt vorbereiten kann auf sein Comeback. Und: Werden gesperrte Sportler eigentlich kontrolliert? Eher nicht, schon gar nicht, wenn er für den Zeitraum der Sperre keine Profilizenz löst.

Strafrechtliche Konsequenzen: Gibt es keine!

Finanzielle Konsequenzen: Doch, schon, kein Preisgeld für 18 Monate. Eventuell Ausfall von Sponsorengeldern. Gegen mögliche Rückzahlungen sichert er sich stets vor Vertragsunterzeichnung mit Sponsoren ab. Er wird diesem Risiko vorbeugen, indem er sich von den ersten Einnahmen genug beiseite legt, um 18 oder 24 Monate gut über die Runden zu kommen. Damit wäre auch das abgesichert.

Soziale Konsequenzen: Nun, wie schon gesagt, ist unser Jungprofi der Meinung, dass Moral und Ethik von und für die Schwachen sind. Das interessiert ihn nicht. Sein unmittelbares Umfeld denkt ähnlich. Und eine mögliche Empörung von Athleten wird ihn nicht davon abhalten, nach der Sperre wieder Rennen zu gewinnen. Wenn die Sperre abgesessen ist, ist seine rechtliche Situation eindeutig: Er hat das Recht, wieder Rennen zu machen! Und die moralische Empörung legt sich auch wieder.

Hinzu kommt eine mögliche Langzeitwirkung von Doping. Bestimmte Substanzen verändern Muskulatur und Organe im Körper so nachhaltig, dass ein Dopingeffekt auch noch anhält, wenn er die Mittel längst abgesetzt hat. Und womöglich hält die Wirkung sogar deutlich länger an, als eine Sperre überhaupt dauert.
Unabhängig davon erlauben die Dopingmittel ihm jetzt ein härteres, intensiveres Training. Selbst wenn er die Dopingmittel irgendwann absetzt, hat er sich damit eine höhere Ausgangsbasis geschaffen als er sie ohne Doping hätte. So bietet ihm Doping selbst wenn er erwischt wird eine hervorragende Ausgangssituation für ein erfolgreiches Comeback.

Wie also schaut das Fazit unseres Jungprofis aus? Seine Entscheidung ist nach dieser eingehenden Abwägung eindeutig:

DEN POSITIVEN FOLGEN VON DOPING STEHEN PRAKTISCH KEINE SANKTIONEN GEGENÜBER. ES WÄRE NICHT NUR DUMM, NICHT ZU DOPEN. ES WÄRE GERADEZU UNPROFESSIONELL!

Ich nenne die oben skizzierte Überlegung ZYNISCH. – Aber nach der aktuellen Situation im Leistungssport könnte man sie mit gleichem Recht auch rational oder realistisch nennen. Es gibt wenig, was man dieser Argumentation entgegensetzten kann. Und oft bekommt man den Eindruck, dass es politisch auch gar nicht gewollt ist, dem viel entgegen zu setzen! Lieber ab und zu das Feigenblatt lüften und ein Bauernopfer ans Kreuz nageln, Hauptsache es läuft alles so weiter, wie es ist.

Das ist empörend, ernüchternd und nicht akzeptabel!

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten, die Entscheidung unseres Sportlers dahingehend zu beeinflussen, nicht zu dopen: A) Eine dramatische Erhöhung des Risikos, erwischt zu werden, verbunden mit B) schmerzhaften Sanktionen bei einem positiven Dopingbefund.

Zu A): Wir brauchen eine Verbesserung des Kontrollsystems, engmaschigere, häufigere und vor allem systematischere Kontrollen. Wir brauchen eine Gelichbehandlung von Athleten, egal welcher Nationalität sie angehören. Wir brauchen eine vollkommen unabhängige Dopinginstanz, die mit genügend Personal und finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Es kann nicht sein, dass Verbände die Dopingkontrollen für ihre eigenen Sportler organisieren oder (mit-)finanzieren. Es kann nicht sein, dass Veranstalter die Dopingkontrollen bei ihren eigenen Rennen organisieren und bezahlen.

Zu B): Doping sollte kein Kavaliersdelikt sein. Sollte nicht mehr oder weniger stillschweigend gebilligt oder gar gefordert werden von Verbänden, Veranstaltern und Sponsoren. Ein positiver Dopingbefund sollte einschneidende Konsequenzen für einen Sportler haben. Nach dem Vorbild von Italien und Frankreich sollte Doping auch in Deutschland und anderen Ländern ein Straftatbestand sein. Wenn man sich an die Festina-Affäre zurück erinnert, haben erst die polizeilichen Ermittlungen die Sache ins Rollen gebracht und den Fahndern überhaupt erst die Mittel an die Hand gegeben, den Dopingsumpf aufzudecken. Ohne strafrechtliche Konsequenzen wird sich im Doping nichts ändern.
Zudem sollten die Strafen für überführte Doper deutlich schmerzhafter ausfallen. Mindestens vierjährige Startverbote. Geldstrafen. Finanzielle Einschnitte.
Um das alles rechtlich wasserdicht zu machen, müsste wahrscheinlich der WADA-Code geändert werden. In der aktuellen Diskussion wird immer so getan, als sei der in Stein gemeißelt. Aber warum sollte eine Änderung nicht möglich sein, wenn sie von allen Verantwortlichen (Verbänden, Veranstaltern, Sponsoren, Medien, Politik) gewollt wird?

Es geht nur über Sanktionen oder es geht gar nicht! Die meisten Sportler denken viel zu kurzfristig, um an ihre Vernunft (Gesundheitsrisiken etc.) appellieren zu können.

Und moralische Argumente und Apelle sind zahnlos! Wenn die Person strukturiert ist wie oben beschrieben – radikal erfolgsorientiert – kümmern sie moralisch-ethische Aspekte nicht.

Verfügt der Sportler aber über eine gesunde moralische Integrität, würde er ohnehin nicht dopen. Für solche Personen bräuchte man keine Sanktionen und auch keine Tests. Sie würden es aufgrund ihrer charakterlichen Struktur eh nicht tun.

Mit moralischen Apellen ist es wie mit der Predigt des Pfarrers in der Kirche: Die Leute, die sie hören, brauchen sie nicht; und die Leute, die sie bräuchten, hören sie nicht.

Es geht primär nicht darum, ob eine Strafe dem Dopingvergehen angemessen ist. Es geht darum, Doping durch Sanktionen so unattraktiv zu machen, dass keiner mehr dopt. Nur so könnte man unseren Jungprofi davon abbringen, nicht zu dopen.

Nur wenn das Risiko zu groß ist, erwischt zu werden oder Verlust zu machen, wird er Doping bleiben lassen – oder den Sport bleiben lassen.

Wie auch immer: BEIDES WÄRE EIN GEWINN – für den Sport und alle sauberen Athleten!

Diese Änderungen können nur in einem Zusammenschluss von Verbänden, Veranstaltern und Politik erfolgen. Es ist an der Zeit, eine Doppelmoral zu beenden, die zwar offiziell Doping verteufelt, hinten herum Doping aber mindestens toleriert, wenn nicht sogar fordert/fördert.
Es ist an der Zeit, den Lippenbekenntnissen Taten und neue Regeln folgen zu lassen!

Links:

Facebook-Initiative: Keine Doper in unseren Reihen
https://www.facebook.com/KeineDoperInUnserenRennen?fref=ts

FAZ-Artikel: Lebenslänglich?
http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/doping-lebenslaenglich-12223012.html

Helle Frederiksens Blog
http://hellefrederiksen.blogspot.de/2013/05/say-no-to-doping-but-why-arent-we.html

Frank Vytrisals Blog
http://www.4athletes.com/einwurf/Zweifelhafte-Leistungen-–-Kampf-gegen-Doping!-1

triathlon magazin
http://tri-mag.de/aktuell/szene/dopingdiskussion-das-recht-nicht-aus-den-augen-verlieren-38947